
All Time Favorites – Weine, die bleiben
Manche Weine erzählen mehr als bloß Herkunft und Jahrgang. Sie verweisen auf Bewegungen, auf Aufbrüche, auf kompromisslose Einzelgänger und stille Revolutionen. In dieser Auswahl begegnen wir Winzern, die Konventionen verlassen, Grenzen verschieben – und damit die Idee vom Wein neu definieren. Eine Liste mit Haltung, Geschichte und Herkunft – flüssige Wegmarken einer radikalen Gegenwart.
2013 Madonna Purus Riesling – Rita und Rudolf Trossen
Die Purus-Linie der Mosel-Winzer Rita und Rudolf Trossen gehört zu den ersten radikal ungeschwefelten Weinen Deutschlands. Die Lage „Madonna“ ist eine klassische Steillage in Kinheim – jahrzehntelang konventionell bewirtschaftet, heute ein Symbol für Umkehr und Vertrauen. Der Purus wird ohne Filtration, Schönung oder Zusatzstoffe gefüllt – ein Ausdruck von Kontrolle durch Loslassen.
2004 Savagnin – Jean-Marc Brignot
Jean-Marc Brignot zählt zu den wohl sagenumwobensten Naturweinproduzenten Frankreichs. Seine Weine wurden nur wenige Jahre lang erzeugt, bevor sich Brignot ganz aus dem Handel zurückzog und nach Japan übersiedelte. Der 2004er Savagnin stammt aus dem Jura – vinifiziert ohne Schwefel, ohne Zusätze, aber mit einem tiefen Verständnis für Reife, Oxidation und die Sprache der Zeit.
2021 Piu – Jérôme Saurigny
Im Westen der Loire gelegen, kultiviert Jérôme Saurigny kleine Parzellen auf Schieferböden in völliger Handarbeit. Er vinifiziert spontan, schwefellos, ohne technischen Eingriff – seine Weine sind im besten Sinne anarchisch. Der „Piu“ ist eine Cuvée aus Grolleau, Cabernet Franc und Gamay, deren Gärung oft monatelang dauert – ein Verzicht auf Kontrolle als künstlerische Methode.
2010 Savagnin – Overnoy-Houillon
Emmanuel Houillon führt seit den 2000er Jahren das Erbe von Pierre Overnoy fort – mit äußerster Zurückhaltung im Keller und einem fast schon rituellen Zugang zum Weinbau. Der Savagnin reift in offenen Fässern unter Florhefen, oxidativ, oft jahrelang – wie ein stiller Widerspruch zur Idee des unmittelbaren Genusses. Die Weine erscheinen in homöopathischen Mengen, Kultstatus inklusive.
2007 Champion Maquice – Pierre Beauger
Pierre Beauger lebt und arbeitet zurückgezogen in der Auvergne – ein stiller Rebell, der nie mit Journalisten spricht, nie auf Messen geht, und dessen Etiketten oft handgemalt sind. Der „Champion Maquice“ war sein erster offizieller Release – abgefüllt in kleinen Flaschen, nahezu ausschließlich an Freunde verteilt. Seine Weine gelten als schwer zugänglich, aber faszinierend eigenwillig.
2023 Pinot Gris (aus dem Tank) – Yannick Meckert
Meckert vinifiziert in Reichsfeld im Elsass, arbeitet biodynamisch, unfiltriert, ungeschwefelt – mit offener Fermentation in Holz, Glas und gelegentlich Beton. Der Pinot Gris 2023 befand sich zum Zeitpunkt der Verkostung noch im Tank – ungefüllt, unfertig, aber in sich ruhend. Meckert gehört zu einer jungen Generation, die mit französischer Wildheit und deutscher Präzision experimentiert.
Pinot Noir – Basti Wolber
Bastian Wolber bewirtschaftet seine Parzellen am Kaiserstuhl mit großer Rücksicht auf Biodiversität und Bodenstruktur. Seine Pinot Noirs entstehen mit niedrigem Ertrag, offener Maischegärung und minimalem Eingriff – konzentriert, aber nie opulent. Die Weine zirkulieren fast ausschließlich in Insiderkreisen und sind regelmäßig innerhalb weniger Stunden ausverkauft.
2017 Les Forcieres (ohne Schwefel) – Aurélie Lurquin, Champagne
Aurélie Lurquin ist eine der wenigen Winzerinnen in der Champagne, die kompromisslos auf Schwefel und Dosage verzichten. Ihre Weinberge im Vallée de la Marne werden biologisch bewirtschaftet, die Gärung erfolgt spontan in Holzfässern. „Les Forcieres“ ist ein Blanc de Noirs – ungeschönt, unfiltriert und mit einer energetischen Spannung, wie sie in der Champagne selten ist.
2018 Pyramide Purellus – Rita und Rudolf Trossen
Die Lage „Pyramide“ ist ein steiler Südhang oberhalb von Kinheim – ein kraftvoller Ort mit tiefgründigen Schieferböden. In der Linie „Purellus“ verzichtet Trossen auf jegliche Intervention – kein Schwefel, keine Filtration, keine Stabilisierung. Der Wein reift lange auf der Vollhefe und wird oft erst spät gefüllt – ein Langstreckenläufer im Geist der Naturweinbewegung.
2020 Rosé – Maison Glandien / Tino Kuban
Maison Glandien ist ein deutsch-französisches Projekt, das Tradition und Experiment verbindet. Tino Kuban bewirtschaftet kleine Parzellen im Elsass, arbeitet mit alten Rebsorten, langen Maischestandzeiten und bewusst niedrigen Alkoholgraden. Der Rosé 2020 basiert auf früh gelesenen Pinot-Noir-Trauben und steht sinnbildlich für eine neue, grenzüberschreitende Weinkultur.
1996 Chenin Blanc – Eric Calcutt
Eric Calcutt war ein Pionier der stillen Chenin-Weine in der Loire – lange bevor die Region internationale Aufmerksamkeit erhielt. Seine Weine wurden selten exportiert, die Mengen waren klein, die Arbeitsweise handwerklich bis ins Letzte. Der 1996er Chenin ist ein Dokument der leisen, unheroischen Naturwein-Avantgarde, deren Zeit heute erst beginnt, verstanden zu werden.
2003 Cabernet Franc – Pierre Weyand (RIP)
Pierre Weyand, einst in Montlouis-sur-Loire tätig, arbeitete biologisch und fast völlig im Verborgenen. Er verstarb jung, sein Weingut existiert nicht mehr – und dennoch tauchen seine Weine bis heute als Referenzen auf. Der 2003er Cabernet Franc ist einer jener raren Flaschen, die man nicht mehr nachkaufen kann – ein flüssiges Vermächtnis einer stillen Größe.
An die Weingüter, die diese Episode begleiten, ein großes Dankeschön
